Care in Context

Care in Context: Medienwissenschaft und politische Theorie
Offener Workshop der AG Medienwissenschaft und politische Theorie in der Gesellschaft für Medienwissenschaft
Universität Wien, 12. und 13. Mai 2023

Sorgen trotz alledem

Ein Workshopbericht

Unter dem Thema Care in Context fand am 12. und 13. Mai der diesjährige offene Workshop der AG Medienwissenschaft und politische Theorie statt. Auch wenn Care oder Sorge auf den ersten Blick kein typischer Gegenstand politischer Theorie(n) ist, so stellt Care doch eine ganz bestimmte Perspektive auf unterschiedliche politische Themenfelder und Theoriemodelle dar und ändert den Blickwinkel auf beispielsweise Fragen der Demokratietheorie, Kritik oder Gouvernementalität. Denn als Anerkenntnis absoluter Relationalität und Vulnerabilität erlaubt Care bestimmte autonome Subjektpositionen beispielsweise liberaler Traditionslinien nicht einmal mehr als Ideal zu denken.

Doch bereits die Auseinandersetzung mit Care selbst, sei sie inhaltlich auf die Untersuchung konkreter Sorgepraktiken bezogen oder theoretisch auf Ebene der Begriffsbestimmung hat bereits eine politische Dimension. Care stellt sich weiterhin unsichtbaren und hegemonialen Subjektidealen entgegen und rückt Praktiken in den Fokus, die normalerweise unsichtbar bleiben und einen utopischen Horizont für eine andere Lebensweise eröffnen.

Trotz aktueller Entwicklungen, die Care mehr und mehr in den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs rücken, bleiben im Feld der Sorge noch viele Bereiche zu erschließen. Dementsprechend vielseitig und spannend waren die beim Workshop vertretenen Themenschwerpunkte sowie Arbeitsformate. Care wurde hier nie auf dieselbe Weise definiert und konnte auch nicht abschließend auf den Begriff gebracht werden. Dennoch ergaben sich einige Gemeinsamkeiten, die in einer Abschlussdiskussion festgehalten werden konnten. So wurde Sorge in der Regel als Praxis begriffen, die an Körper und Affekte gebunden ist. Dabei ging es sowohl um Sorge um die Affekte (Marie Sophie Beckmann, Jakob Cyrkel), als auch um Sorge als affektive Praxis (Florence Borggrefe, Birte de Gruisbourne, Simone Latzko).

Eine weitere Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Zugangsweisen zu Care umfasst die Perspektive auf Macht und Gewaltpotentiale beispielweise paternalistischer Sorgepraktiken, die unter Begriffen wie Dark Care oder Regierungspraktiken verhandelt wurden (Florence Borggrefe, Jakob Cyrkel). Auf diese Weise schwankt Care dann zwischen Empowerment bzw. Autonomisierung (Marie Sophie Beckmann, Florence Borggrefe, Birte de Gruisbourne, Stefan Schweigler) und paternalistischer Fürsorge bzw. bloßem Versorgen (Marie Sophie Beckmann, Jakob Cyrkel, Stefan Schweigler). Nicht zuletzt sind Sorgepraktiken nicht nur an Körper, sondern auch an Medien gebunden, die dann selbst eine Funktion als sorgende Medien übernehmen können (Simone Latzko, Maria Schreiber, Stefan Schweigler). Gerade in der Analyse medialer Phänomene oder Praktiken erscheint Care als Struktur, die verschiedenen Praktiken inhärent ist und durch die Brille der Sorge offen gelegt werden konnte (Florence Borggrefe,  Jakob Cyrkel, Simone Latzko, Maria Schreiber, Stefan Schweigler).

Care wurde jedoch nicht nur als theoretischer Zugang, sondern auch als Haltung und ethische Anforderung an vulnerable Subjekte (also uns alle) behandelt. Von Beginn befanden sich alle Teilnehmenden in einer sorgenden Haltung zueinander, was sich in einer respektvollen Diskussionskultur und Aufmerksamkeit gegenüber unterschiedlichen Bedürfnissen äußerte. Gerade in der weiterhin auf Konkurrenz aufbauenden Wissenschaftskultur muss eine sorgende Atmosphäre leider als besondere heraus gehoben werden. Um gegen diese destruktive Kultur anzuarbeiten, war der Workshop mit Blick auf ausreichende Pausen, gute Verpflegung und Freiwilligkeit ausgerichtet und wurde mit gemeinsamen Eisessen als gesellschaftlicher Utopie abgeschlossen. Ein weiterer auf Haltung und Praxis ausgerichteter Workshopteil widmete sich dementsprechend der Frage nach der „sorglosen Wissenschaft“ im Worldcafé-Format, um Probleme von, Utopien für und Wege aus der sorgeblinden wissenschaftlichen Praxis zu suchen (konzipiert von David Jagella, Thomas Waitz, Deborah Wolf). Neben notwendigen institutionellen Veränderungen, wie sie gerade auch in Bezug auf die Novelle des WissZeitVG diskutiert werden, wurden auch Fragen der Haltung verhandelt, die Sorge sowohl im Sinne von verunsichtbarter außeruniversitärer Sorgearbeit, als auch als sorgende Forschung und Lehre in den Mittelpunkt stellt. Eine sorgende Haltung adressiert dabei Wissenschaftler*innen, Lehrpraxis, Forschungegenstände und -themen, sowie den Umgang miteinander auf Tagungen oder an Universitäten gleichermaßen. Ausgehend von unserer unterschiedlichen Angewiesenheit auf Sorge (räumlich, zeitlich, körperlich), so ein Fazit, sollte nicht zuletzt das wissenschaftliche Subjekt als autonomes überdacht werden und stattdessen Kooperation, Verletzbarkeit und konkrete Verletztheit als Ausgangspunkt wissenschaftlicher Praxis und Regelfall wissenschaftlich tätiger Subjekte gedacht werden. Auch wenn dies in einer auf liberalen Subjektidealen gegründeten Institution immer auch eine utopische Dimension hat, können Workshops wie Care in Context dennoch als eine Annäherung an alternative Lehr- und Forschungshaltungen verstanden werden, die in das gesamte akademische Feld ausstrahlen können. Auf diese Weise eröffnet Care wichtige Forschungsperspektiven und übt alternative Praktiken für eine Carekultur der Zukunft ein, die sich mit Sicherheit in weitere Workshops der AG tragen wird.

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